Mittwoch, 9. Januar 2013

Kasten, Erich (Hg.), Schamanen Sibiriens. Magier, Mittler, Heiler, Dietrich Reimer Verlag: Berlin & Linden-Museum Stuttgart 2009, Ausstellungskatalog, 256 S., ISBN 978-3-496-02812-3, 39,90 €.


Die Monographien der Ethnologie lesen sich häufig wie viele geisteswissenschaftliche Beiträge: Bleiwüsten, die theorielastig ermüden. Die vielen Fakten, die allgemein, also auch außerhalb der Wissenschaftgemeinschaft, interessant sind, verteilen sich meist über das ganze Werk und wenn man endlich, bei linearem Lesen, bei diesen angekommen ist, kann kaum noch Freude aufkommen, so grundlegend langweilig war der Weg dorthin. Selbst viele Wissenschaftler lesen lediglich die Paratexte und dann höchstens noch punktuell.
Dass Wissenschaft auch anders aussehen kann, zeigen Ausstellungskataloge sehr deutlich. Die Texte sind relativ kurz, deutlich farbiger als auf Theoriebildung bzw. –bestätigung/ -widerlegung ausgerichtete Texte (obwohl auch diese vorkommen können...), der Leser ist nicht an nur einen Autoren gebunden, Themenvielfalt und -variation werden geboten, ganz zu schweigen von den Abbildungen der Ausstellungsstücke. Kurz: In Form von Ausstellungskatalogen macht Wissenschaft richtig Spaß!
Wer sich aus wissenschaftlicher Perspektive oder als Praktiker einer (neo)schamanischen Schule dem Schamanismus nähert, wird in dem Katalog Schamanen Sibiriens. Magier, Mittler, Heiler einen wahren Schatz haben.
Der von Erich Kasten herausgegebene Katalog begleitet eine Ausstellung, die vom 13.12.2008 bis zum 28.06.2009 im Stuttgarter Lindenmuseum zu sehen war. In Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Museum in St. Petersburg ist es den Kuratoren gelungen, bisher ungesehene Objekte zu zeigen und mit entsprechenden Aufsätzen zu kontextualisieren. In dem Band kommen mehr als 20 Wissenschaftler zu Wort, dabei etwa Vertreter des Etnografischen Museums St. Petersburg, des Völkerkundemuseums in Zürich, der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau oder der Freien Universität Berlin.
Nach der Abhandlung üblicher Fragen zur Organisationsgeschichte der Ausstellung ist den Wissenschaftlern bemerkenswerterweise eines wichtig: die Sammlungsgeschichte ethnologischer Objekte zum sibirischen Schamanismus. Sowohl die Exkursionen im 19. und 20. Jahrhundert (so die Jesup North Pacific Expedition) als auch die sowjetischen Kulturfunktionäre haben sich die Ritualgegenstände, die Arbeitsinstrumente der Schamanen, in der Regel unrechtmäßig angeeignet (Stichwort: Schmananenverfolgungen in der UdSSR).
Bei aller Schönheit und spürbaren Belebtheit vieler Objekte soll das nicht vergessen und den einzelnen Beiträgen vorausgeschickt sein.
Zunächst wird der Rahmen abgesteckt: Allein die Frage, ob vom Schamanismus gesprochen werden kann oder eher von Schamanismen zeigt dessen vielgestaltige Ausprägung: In den klimatischen und ethnologischen Besonderheiten Sibiriens werden 23 Völker, die in fünf Sprachgruppen unter unterschiedlichsten Umweltbedingungen (arktische Zone, Tundra, Taiga) im riesigen Sibirien leben, unterschieden. Gemeinsam ist den Jägern, Fischern, Sammlern, Rentierhaltern und Nomaden der Schamane, der als religiöser Spezialist Arzt, kulturelles Gedächtnis, Garant für Jagderfolg, Wettermacher, Vermittler zwischen dieser Welt und der der Geister und einiges mehr ist. Nach allgemeinen Beiträgen zur Initiation und Tracht des Schamanen, der kamlanie (Zeremonie) und dem Weltbild (den Weltbildern) des Schamanismus gilt die Aufmerksamkeit eben den Besonderheiten, die in der Praxis und den Vorstellungen einzelner Völker zu finden sind: exemplarisch bspw. anhand der Evenken, der Burjaten, der Chakassen oder der Korjaken. Und selbstredend sind die Texte mit phantastischer Bebilderung verbunden.
Heutzutage hat sich der Schamanismus in Sibirien deutlich gewandelt und viel durch dem Re-Import westlicher (neo)schamanischer Strömungen angenommen (Bsp.: Tuva); überkommene Traditionen und Schamanen, die in dieser stehen, sind sehr selten. Obwohl durch Widrigkeiten verursacht, entspricht das wiederum der synkretistischen Neigung der Schamanen: zeitlich und geografisch ganz unterschiedlich gab es (und gibt es wieder) Ausprägungen mit deutlichen buddhistischen oder christlich-orthodoxen Einflüssen.
Der Schamanismus lebt heute in anderer Form als der, die in ethnologischen Beschreibungen vergangener Jahrhunderte sichtbar wird.
All diese Topoi und einige mehr werden äußerst kenntnisreich in gebotener Kürze und in Aufsatzform abgehandelt. Verbunden mit der Bebilderung ist dieser Katalog, auch wenn man die Ausstellung nicht gesehen hat, ein großer Wurf für alle am Schamanismus Interessierten und in allem viel mehr als „nur“ Lesevergnügen.

Samstag, 5. Januar 2013

Suhr, Dierk/ Seifert, Sabine, Kleine Geschichte der Magie, Thorbecke Verlag: Ostfildern 2009, Festband, 160 S., ISBN 978-3-7995-0816-2,
19,90 €.


Einführungs- und Überblicksbücher gibt es in fast jedes denkbare Thema, so auch in die Magie. Sie werden alle paar Jahre neu geschrieben, immer zu Zeiten im Voraus kalkulierter Nachfrage oder auf medialen Erfolgswellen schwimmend und sind selten Bestseller sondern eher wirtschaftlich ausgewogene Elaborate, die relativ verlässlich ihre Kosten einspielen. So auch das vorliegende Buch, dass sich an interessierte Laien richtet und den Anspruch erhebt, die Geschichte der Magie in Kurzform dazustellen.
Der Autor, Herr Suhr, ist Geschäftsfüher von Klett MINT, einer Firma, die sich an Unternehmen und junge Menschen richtet, um dem Fachkräftemangel in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik entgegenzuwirken. Frau Suhr ist Biologin, die sich als freie Autorin und Lektorin verdingt. Beim Thema Magie haben sich beide wohl gefunden; zumindest Herr Suhr hat schon Verwandtes publiziert (Die Alchemisten, 2006 oder eine Kleine Geschichte der Ketzerei, 2008). Diese Art von Kurzüberblick in Anlehnung an Edutainment-Formate scheint ihm also zu liegen.
Und so liest es sich dann auch: Zu jeder Frage, bspw. was Magie ist oder wie man Magier wird, sind die unterschiedlichsten Antworten aus den verschiedensten Quellen zusammen getragen worden, ein bunter Mix von den Gebrüdern Grimm über C. G. Jung und Hans Biedermann bis hin zu Harry Potter. Ethnologische Studien werden ausgeweidet, die Geschichte der phantastischen Literatur und natürlich die originär magischen Schriften selbst, wenngleich diese doch recht sparsam.
Die Frage nach weißer und schwarzer, hoher und niederer Magie wird angerissen, die Alchemie gestreift, der Schamanismus etwas mehr als erwähnt, Theosophie und Anthroposophie kommen vor, genauso wie Animismus und Divination. Kabbala, Runen und Gnostiker sind verzeichnet, Hermetik, Astrologie und Spiritismus und Crowley darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Der Leser erfährt dass es die Vorstellung magischer Heilung gibt, Menschen an Zauberpflanzen glaub(t)en, an Homöopathika, an Amulette und vieles mehr, was rein rational gelinde gesagt fragwürdig ist. Es geht um Kristalle und Edelsteine, informiertes Wasser, Hypnose und NLP, die antike Säftelehre und Spagyrik. Das Dropping von magischen Disziplinen, Teilbereichen und Vorstellungen könnte noch eine Weile anhalten, analog zum vorliegenden Band.
Vom anfänglichen Versuch, Kräfte zu beherrschen und für sich einzuspannen, die der Mensch außerhalb von sich dachte bis hin zur Verlagerung dieser in den innerpsychischen Raum und die Verbindung von Zauberei mit spirituellen/metaphysischen Zielsetzungen reisen die Autoren durch die (Ideen)Geschichte der Magie.
Das Ganze ist mit ansprechendem Bildmaterial visuell aufbereitet und schon ist er fertig, der leicht verdauliche, intellektuell unaufgeregte und unterhaltsam plätschernde Cocktail zum Thema.
Wer sich für die Kultur von Magie und Okkultismus interessiert, einen kurzen Überblick will, wer also eine kurz gehaltene und einigermaßen kluge Oberflächenbeschreibung zu diesem Gebiet sucht, ist mit diesem schmalen Buch gut bedient.

Freitag, 4. Januar 2013

Stejnar, Emil, Der Thebaische Kalender, Ibera: Wien 2012, Festband, 352 S., ISBN 978-3-85052-254-9, 25,00 €.


Der nächste Band aus der Reihe Magie und Mystik im 3. Jahrtausend, hier vorgstellt, ist Der Thebaische Kalender. Die 360 Genien der Erdgürtelzone, die Zeit ihrer Macht und die Praxis der mystischen Invokation. Dieses Werk ergänzt und präzisiert Das Schutzengelbuch, das in diesem Blog bereits besprochen wurde. In der Reihe der Publikationen des selbsternannten Bardon-Nachfolgers ist es das achte Buch von zehn. Und bereits im Titel findet sich wieder der technische Gegensatz zu Bardons Arbeit: Während es bei diesem die Praxis der magischen Evokation ist, favorisiert Stejnar in seiner Weiterführung bzw. Neuauflegung des Systems die mystische Invokation.
Während der Autor im Schutzengelbuch den Bund vorstellte, den Engel und Menschen aufs Neue miteinander eingegangen sind, wie der Wanderer diesen Bund in verschiedenen Verpflichtungen lebt und wie man selbst zu einem Wanderer wird, präzisiert er im Thebaischen Kalender die Angaben zur Arbeit mit den Genien.
Im Zentrum steht ein Kalender als Instrument der Berechnung der bestmöglichen Zeit der Erreichbarkeit der einzelnen Geister:
Quintschers Forschungsloge, deren Mitglied Bardon gewesen ist, verwendete den Thebaischen Kalender, von dem Stejnar eine Abschrift anfertigen konnte. Seitdem experimentiert er mit diesen zeitlichen Vorgaben. Dieser Kalender geht, so der Autor, höchstwarscheinlich auf die Magie und Astrologie der Chaldäer zurück und ist nicht mit den Thebanischen Tafeln aus Ägypten zu verwechseln. Er ist eine genaue Beschreibung der Gezeiten der Macht, wie Stejnar die Wirkspanne der Genien nennt, auf der Basis astrologischer Berechnungen. So kann jeder für den Ort, an dem er sich befindet, ausrechnen, wann der zu kontaktierende Genius nahe und zugänglich ist (Die Engel sprechen astrologisch, so Stejnar). Sollte die einfache Rechnung trotzdem zu kompliziert sein, stellt der Stejnar-Schüler Walter Ogris einen Digitalen Genienspiegel zur Verfügung, also die Wirkzeit des Genius auf Knopfdruck.
Vor den Kalender gesetzt ist die Herleitung der Siegel und Namen der Vorsteher der Erdgürtelzone, die in einen historischen Rahmen gesetzt werden, der Irrungen und Wirrungen der Abschreibungsgeschichte zurechtzurücken sucht:
In einer ausführlichen Tabelle, in denen die Namen der 360 Genien verzeichnet sind, bietet Stejnar die Schreibweisen unterschiedlicher Manuskripte (Bardon, Abraham von Worms, Mathers, Quintscher und seine eigenen). Bei den Zuordnungen von Namen (bzw. deren Richtigstellung) zu den entsprechenden astrologischen Stationen fällt auf, dass Stejnar die Arbeit von Bardon mehrfach als falsch auszeichnet, auf der anderen Seite wiederum zugeben muss, dass von ihm hergestellte und geweihte Amulette nach den (falschen) Vorgaben Bardon ebenso wirksam gewesen sind. Das zeigt der Autor, abseitig seines eigentlichen Themas, anhand der Mondgenien, also anhand von Planetengeistern. Diese Geister, obwohl eigentlich nicht Thema, sollen sich allerdings wesentlich besser für die Kontaktaufnahme eignen als die der Erdgürtelzone, zumal jeder über die astrologischen Transite zu jeder Zeit in mehr oder weniger intensivem Kontakt zu diesen Genien steht. Dazu in einem anderen Buch...
Stejnar legt auch hier, wie in allen seinen Büchern, noch einmal den Kern der Magie und Mystik im 3. Jahrtausend offen: Das Wissen um die Wesenszellen und deren Vernetzung und die Kommunikation mit reingeistigen Wesen via Elemental/Elementar, die, so warnt der Autor eindringlich, ohne entsprechende Schulung besser nicht unternommen werden sollte. In diesem Zusammenhang geht Stejnar der Frage magischer Angriffen nach und schließt dabei, dass die meisten magisch Angegriffenen sich ihre Dämonen selbst erschaffen haben.
Aber auch für die geistig Gesunden, die sich mit der Kontaktaufnahme mit den Engeln beschäftigen und das mit dem Thebaischen Kalender nun noch effektiver können, ist letzten Endes kaum zu entscheiden, ob er mit einem Elemental, einem Foppgeist, einem mentalen Trittbrettfahrer oder der Intelligenz selbst kommuniziert hat, da die geistige Einheit der Verständigung in jedem Fall ein Elemental/Elementar ist.
Da ist wohl noch viel Forschung nötig, zu der Stejnar einlädt und zu der er mit seinen Büchern eine äußerst solide Basis mit einfachen Techniken legt.